FLL bei der Themenwoche “Bildung DIGITAL”
Der Blick über den Tellerrand des analogen Frontalunterrichts lohnt sich. Vor bald einem Jahr wurden viele Lehrende, Schulleiter, Schulträger, Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern quasi über Nacht in die Welt des digitalen Lernens und Unterrichtens geworfen – eine große Kraftanstrengung für alle. Doch der Aufwand bietet große Chancen. Digitale Lern- und Lehrformate sind gefragt, es werden digitale Werkzeuge und Plattformen entdeckt und ausprobiert, Lernen kann vielseitiger sein. Die Türen des klassischen Klassenzimmers stehen weit offen, wenn Lehrende und Lernen ebenso offen sind und sich auf Neues einlassen.
Die Lernräume der Zukunft
Wie solche Lernräume aussehen und wie sie von Lehrenden und Lernenden genutzt werden können, zeigt das Future Learning Lab der Pädagogischen Hochschule in Wien. Hermann Morgenbesser koordiniert die Gestaltung, Umsetzung und Nutzung. „Analog zu bleiben, ist keine Option“, sagt er, auch wenn es eine Anstrengung bedeute, digital zu werden. „Aufstehen ist schwer, sitzenbleiben eine Katastrophe.“
Im folgenden Interview gibt Hermann Morgenbesser Impulse für die Zukunft des Lernens:
- Wie und was lernt man im Future Learning Lab?
- Was heißt Bildung neu denken für Sie?
- Was passiert beim Lernen noch (sozio-emotionales Lernen)?
- Was braucht Ihrer Meinung die Diskussion um Digitale Bildung?
- Wie entwickeln sich die österreichischen Schulen seit Ausbruch der Pandemie?
- Welche Unterschiede haben das deutsche und das österreichische Bildungssystem?
- Welche 5 Gelingfaktoren braucht es für einen zeigemäßen Unterricht mit digitalen Werkzeugen?
- Was muss im Lernraum der Zukunft drin sein?
Wie und was lernt man im Future Learning Lab? (hier reinhören: Timecode 0:50)
Was brauche ich, um ein Erklärvideo zu erstellen? Gemeinsam können wir ein Storyboard entwickeln. Vor dem Greenscreen kann ich Moderationen aufnehmen, im Konferenzräum schließlich multimedial das Erklärvideo präsentieren.
Das und mehr ist möglich im Future Learning Lab (FLL) der Pädagogischen Hochschule Wien. Zwei Räume auf insgesamt 180 Quadratmetern sind in sechs Lernzonen aufgeteilt:
- Create
- Impact
- Present
- Investigate
- Exchange
- Develop
Zur Verfügung stehen ein Videostudio, flexible Möbel und Sitzecken, Beamer, interaktive Boards, Tablets und Notebooks. Hier können einerseits Lehrerinnen und Lehrer ausprobieren, was mit digitalen Werkzeugen im Unterricht möglich ist. Sie können sich fortbilden und experimentieren. Studierende können Expertise und Räume ebenfalls nutzen, um zum Beispiel eine Seminararbeit mit digitalen Werkzeugen zu erarbeiten. Aber auch gesamte Schulklassen können das FFL besuchen, neue Lernumgebungen ausprobieren und auch sich selbst und das eigene Lernen neu entdecken. Gefragt sind Neugierde, Offenheit, Experimentierfreude, Vernetzung.
2017 ist das FLL eingerichtet worden – initiiert durch das österreichische Familienministerium gemeinsam mit der IT-Industrie in Kooperation mit dem Bildungsministerium. Als Vorbild dient das Future Classroom Lab in Brüssel.
Was heißt Bildung neu denken für Sie? (hier reinhören: Timecode 11:20)
Raumkonzept
Im Future Learning Lab als Lernraum der Zukunft werden beispielsweise selbstorganisierte Unterrichtssequenzen angeboten. Dadurch kann auf die individuellen Bedürfnisse der Lehrperson eingegangen werden, die sie für ihren Unterricht und dessen Vorbereitung benötigt. „Nur ein gutes Raumkonzept kann das digitalisierte Konzept unterstützen, weil sich Digitalisierung – Gott sei Dank – nicht auf einen Raum einengen lässt“, sagt Morgenbesser.
Transparenz
Transparenz steht dabei für ihn an oberste Stelle. „Das, was Lehrpersonen machen, muss in jeder Form transparent und abrufbar sein.“ Und zwar sollte es synchron verfügbar sein, und zwar interaktiv für die Schülerinnen und Schüler. Zudem soll es eine asynchrone Abbildung dieses analogen Geschehens geben, sprich, „was die Lehrperson in ihrem Unterricht selbst produziert, in einer strukturierten und qualifizierten Form weitergegeben werden“. Die Kombination mit einer Lernplattform sei unumgänglich.
Schülern zugeneigt
Des Weiteren ist für Morgenbesser die Schülerzugeneigtheit ein wichtiger Punkt beim zukünftigen Lehren. Die Lehrperson könne nicht mit den Rücken zu den Kindern stehen und an der Tafel ihr Wissen vermitteln. Vielmehr wird die Lehrperson in den offenen Lernräumen zur moderierenden Person. Die Schülerinnen und Schüler sind beispielsweise in einer Mathestunde in drei Gruppen eingeteilt – die Investigators (besorgen das Lernmaterial), Makers (bearbeiten die Aufgaben) Presentor (bereiten Präsentationen vor) – und die Lehrperson unterstützt sie als Coach. Danach werden die Rollen gewechselt.
Was passiert beim Lernen noch (sozio-emotionales Lernen)? (hier reinhören: Timecode 20:16)
Im Future Learning Lab stehen einer Schulklasse 180 Quadratmeter zur Verfügung – das wirkt sich auf die Schülerinnen und Schüler aus. Denn es kann auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden, zum Beispiel auf Schülerinnen und Schüler, die nicht so gut sehen, andere, die verstärkt Hilfe brauchen. Zusammen mit der Lehrperson werden die Kinder dann auf entsprechende Plätze im Raum verteilt, so dass soziale Komponenten berücksichtigt werden. So kann ein anderes Miteinander entstehen, dass später auch ins Geschehen der Klasse wirkt.
Was braucht Ihrer Meinung die Diskussion um Digitale Bildung (hier reinhören: Timecode 24:25)
Wochenplan
Morgenbesser hat Erfahrungen an verschiedenen Schulen in Großbritannien gesammelt, die alle eines gemeinsam haben: Struktur durch einen Wochenplan. Dadurch lassen sich Unterrichtssequenzen anders planen und umsetzen. Ein Beispiel: Zwei Klassen treffen sich zum selben Thema zu einer bestimmten Zeit auf dem Gang zwischen ihren Klassenzimmern. Ausgestattet mit digitalen Geräten kann etwa eine Gruppe in die Bibliothek gehen und recherchieren, andere sind im Garten, sammeln Blätter und berichten über ihre mobilen Geräte davon.
Raum neu denken
Morgenbesser regt an, über den Tellerrand zu schauen und den Raum zu erweitern – auf den Gang, den Schulhof, aber auch auf die digitale Welt und das Wissen von Experten, die angefragt werden können. „Der Raum wird neu gedacht.“ Und das erweitert die soziale Interaktion.
Wie entwickeln sich die österreichischen Schulen seit Ausbruch der Pandemie? (hier reinhören: Timecode 29:35)
In Österreich gibt es das Prinzip „Single Sign On“ (einmalige Authentifizierung) – dadurch bekommt jedes Kind und jeder Erwachsene (Eltern, Lehrer) Zugriff auf zentrale Planungs- beziehungsweise Unterrichtsplattformen der Initiative eEducation, der 600 Schulen in Österreich folgen. Diese werden akkreditiert und zertifiziert, um teilzunehmen. Gemeinsam bekennen sie sich dazu, auch digital zu unterrichten, entsprechende Workshops zu absolvieren, sich mit Experten zu vernetzen. Diese Welle hat sich durch die Pandemie beschleunigt, rund ein Drittel der Schulen in Österreich ist bereits dabei.
Welche Unterschiede haben das deutsche und das österreichische Bildungssystem? (hier reinhören: Timecode 32:18)
Österreich hat – im Gegensatz zu Deutschland – ein zentrales Bildungsministerium. Das hat Vor- und Nachteile. In Österreich sind Konzepte über das ganze Land einheitlich umsetzbar, in Deutschland müssen diese erst diskutiert werden. Umgekehrt gilt in Österreich das pädagogische Freiheitsprinzip, nichts ist verpflichtend. Dadurch lassen sich Projekte zwar schneller anstoßen als in Deutschland, aber langfristig nachhaltig ist das nicht. In Deutschland wiederum werde staatsgetrieben digitalisiert, regional durchgedacht, sagt Morgenbesser. Dadurch entstünden Möglichkeiten des verpflichtenden Lernens.
Welche 5 Gelingfaktoren braucht es für einen zeitgemäßen Unterricht mit digitalen Werkzeugen? (hier reinhören: Timecode 34:31)
- offene Lernmethoden und Lehrpersonen, die offen für Neues sind
- ein gut strukturiertes Lernmanagementsystem
- eine Elternschaft, die integriert wird in den Lernprozess
- einen Stakeholder-Bereich mit allen Ministerien und Firmen, die im Bildungsbereich dabei sind, für einen Diskussionsprozess
- eine finanzielle Unterstützung der Schule, durch die der Lehrperson zugestanden wird, dass sie den Prozess steuern kann (Vorbilder sind Singapur und Finnland)
Was muss im Lernraum der Zukunft drin sein? (hier reinhören: Timecode 36:13)
Die zentrale Schaltstelle dieser Klassenumgebung ist ein interaktives Display, das die Möglichkeit bietet für Schülerinnen und Schüler im Klassenraum, außerhalb im Schulgebäude sowie von Zuhause aus zu lernen. Zudem sollen auf diesem interaktiven Display die Lernformen abbildbar sein – sowohl die vorgegebenen Lernformen (Curriculum) als auch der Wochenplan und mögliche Umgebungsvariablen. Und es bedarf eine gut funktionierende Infrastruktur mit WLAN und elektronischen Geräten.
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